Es gibt nur zwei Hacken an der Sache:
1) nicht die Fahrer müssten sich dem Zyklus anpassen sondern der Zyklus der Realität recht nahe kommen.
2) Dadurch das der Zyklus einen sehr optimierten Fahrstil voraussetzt werden bestimmte Motorentypen gegenüber anderen positiv Bevorzugt im Ergebnis.
Na gut, dann möchte ich dir mal einige kleine Gegenbeispiele nennen:
Die Realität eines Pizzaboten sieht so aus: Das Auto steht kalt auf der Straße, die Heckklappe ist offen (damit das Ordnungsamt den "Beladungsvorgang" nicht verneinen kann). Die Pizza ist bestellt, der Bote rennt zum Auto, wirft die Ware in den Kofferraum, startet und rast los. Hohe Drehzahl, niedrige Gänge, harte Beschleunigung, starkes Abbremsen, Heizung volle Pulle, 8km Stadtverkehr in unter 5 Minuten.
Ein Dokker-Nutzer mit Hund: Das Auto steht auf eigenem Grundstück (weil sonst beim nächsten Satz mit der StVO gedroht wird) und es ist schweinekalt. Der Motor wird schon mal angelassen und läuft warm. Der Hund wird verladen und es geht 2km in den Park. Hund raus, in den Park gesch..., noch schnell die Kottüte entsorgt und 10 Minuten später wieder zurück ins Eigenheim.
Ein Pendler: Frühstück, rein ins Auto und ab nach Köln. 10km Autobahn, davon 5km Stau oder stop and go. Zurück der gleiche Ablauf. Jeden Tag.
Der Nachbar muss nach, na sagen wir mal, Gummersbach. Gleitzeit. Er fährt etwas später los, gondelt gemütlich 70km auf der Autobahn herum und hat auf dem Rückweg wieder eine freie Autobahn. Er ist wahrscheinlich kürzer unterwegs als sein Nachbar.
Familienurlaub: 4 Personen, 200kg Gepäck und die Hundebox. Alles rein ins Auto und ab gehts in den Süden. 500km am Stück oder mit einer Stunde Pinkelpause, je nach Müdigkeit der Kinder.
Familienurlaub der Nachbarn: 2 Personen, 2 Reisetaschen und ein voll gepackter Wohnwagen mit 1.200kg. 700km in 36 Stunden (man hat ja sein Hotel dabei). Zurück geht es etwas schneller, da will man vor dem Rückreisestau zu Hause sein und schafft die Strecke in 8 Stunden.
Der Forenuser: Fährt jeden Tag mit seinem Auto 20km zur Arbeit. Er ist etwas schneller unterwegs und wundert sich über einen recht hohen Verbrauch. Er wird wahrscheinlich nur bis zum Nachbarn lesen, die nächsten 5 Nutzer überfliegen und nach dem letzten Beispiel direkt auf den Zitateknopf klicken. Dann wird ein Nutzerprofil rausgesucht und gelobt oder als realitätsfern in der Luft zerrissen.
Der Handwerker: Hat sein Auto mit Ware und Material voll ausgelastet, fährt zum Kunden und arbeitet. Zurück geht es etwa 500kg leichter.
Der Wartungstechniker: Hat ein Regalsystem im Auto und ist immer voll beladen. Er fährt knapp 60.000km im Jahr und ziemlich schnell und hat meistens auf der Rücktour nur ein kleines Ventil weniger im Laderaum oder schleppt ausgebaute defekte Teile zurück ins Lager.
Sein Opa: Fährt gern "lange Strecken" ab 50km und hat Zeit. Das lässt er auch andere Verkehrsteilnehmer spüren "Hier ist 100, aber 70 sind eigentlich schnell genug", gleitet aber mit 60 durch kleine Ortschaften, um nicht runterschalten zu müssen.
Die Frau vom Opa: Stocktaub und 50 Jahre Unfallfrei. Sie ist aber sicher, dass sie keine Hörgeräte braucht. "Was? Ölgemälde? Achso, Hörgeräte. Nein, ich verstehe dich gut. Sowas brauche ich nicht. Ich bin doch nicht alt!". Sie fährt 120 auch im dritten Gang ("Ja, der Motor schnurrt wie ein Kätzchen") und ist sich sicher, dass ihr Mann ein Raser ist ("Ständig fährt er unseren Tank leer!").
Ein Familienvater: Früh gehts los, die Kinder ins Auto und ab zur Schule und zum Kindergarten, dann zur Arbeit. Kein Stress, sind ja "nur" 50km über Bundesstraßen. Nach der Arbeit gehts noch zum Einkaufen. Die Kinder? Hat die Frau schon mit dem Zweitwagen abgeholt. Wo waren wir? Ach ja, einkaufen. Lebensmittel und Süßkram. Dann noch mal kurz zum Baumarkt und wieder zurück. 100km jeden Tag, da muss man den Gasfuß im Griff haben, sonst wird es knapp mit der Rate fürs Haus.
So sieht ein kleiner Auszug aus der Realität aus. Aber an welche Realität soll sich der Zyklus anpassen? DIE Realität gibt es nicht.
Passt man das Fahrzeug an einen schnellen und harten Fahrstil an, hat der Spritsparer ein Problem mit zu kurzen Getriebeübersetzungen. Passt man das Fahrzeug an einen Spritsparer an, kommt man voll beladen nicht mehr vom Fleck. Und immer werden sich 95% der Autofahrer nicht repräsentiert fühlen.
Das Verkehrsgeschehen ändert sich und so ändert sich auch der Messzyklus. Aber nicht jährlich, sonst könnte man die Autos nicht vergleichen.
In einer Sache hast du (RayD1985) allerdings Recht: Um für einen Prüfzyklus optimal zu passen, werden Getriebe oft völlig hirnrissig abgestuft. So kann man nur sparsam fahren, wenn man "sparsam fährt", also das Auto wie im Prüfzyklus bewegt.
Wäre der Prüfzyklus eher an den Großstadtpendler angepasst, könnte der im realen Betrieb seine (höheren und "ehrlicheren") Werte schaffen und wäre glücklich, weil die Autohersteller die Getriebe entsprechend abstufen würden. Dann schafft aber der Spritsparfuchs seine Traumwerte nicht mehr und ist entsprechend unglücklich.
Die Getriebe an den Pizzaboten anzupassen wäre allerdings nicht zielführend. Auch wenn er und alle Kurierdienstler oder Lieferfahrer sich mit viel zu hohen Realverbräuchen von der Automobilindustrie betrogen fühlen. Genau wie Taxifahrer, deren Autos in drei Schichten teilweise 1.000km pro Tag bewegt werden.
So, wieder viel zu lange am Computer gesessen. Wir sollten eigentlich froh sein, dass wir drei Angaben haben (innerorts, außerorts und kombiniert) und uns so ein passendes Auto aussuchen können. Später wird es nur die Angabe "real nach ...zyklus" geben und wir als Käufer müssen uns überraschen lassen, ob der Autohersteller eher für Stadtbetrieb oder für die Autobahnfahrt mit 150km/h optimiert hat, um den schönsten "Realwert" hinzukriegen.
Gruß
MadGyver